Nach polyphon kommt porös
Michaela Büsse – Designforscherin & Kuratorin, PhD Kandidatin ECAM:
Die Herausforderungen einer Gegenwart, die bestimmt wird durch mögliche Zukünfte, prägen nicht nur unsere Finanzmärkte, unser Einkaufsverhalten und die Wahrscheinlichkeit, dass wir an Diabetes erkranken oder bereits vor einer Straftat in Haft genommen werden, sondern auch unsere materielle Umwelt. Augmented und Virtual Reality sind von gestern, dabei waren sie im Grunde noch nie da. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft scheinen keiner Linearität mehr zu folgen – haben sie das je? Spekulativer Realismus mündet in spekulativem Design und zu recht stellt sich die Frage: wie lassen sich dadurch die Probleme unserer Gesellschaft lösen? Basierend auf Arbeiten der Studierenden im Master Trends der Zürcher Hochschule der Künste wird das «poröse Subjekt» als ein Ansatz vorgestellt mit dem Ungewissen umzugehen.
Tauschen oder Teilen
Dr. phil. Mareike Teigeler – Soziologin, Leuphana Universität Lüneburg:
Wie könnte es ein Einzelnes geben, wenn dieses radikal einzeln wäre? Die Suche nach dem radikal anderen dockt an eben jener Frage an, wenn das Andere zunächst als etwas dem Einzelnen (als sein Anderes) gegenüberstehend betrachtet wird. Denn das Einzelne macht als einzelnes nur dann Sinn, wenn es ein Gegenüber, ein Anderes hat mit dem es gemeinsam ist.
Die Gemeinschaft zwischen dem Einzelnen und einem Anderen drückt sich entweder durch die Gleichwertigkeit beider Teile, oder aber durch ihre fundamentale und damit radikale Ungleichwertigkeit aus. Während das Prinzip der Gleichwertigkeit auf die Austauschbarkeit der gemeinschaftlichen Teile zielt, markiert eine ungleichwertige Gemeinschaft ein Miteinander von für dieses Miteinander unersetzbarer und damit absolut besonderer Elemente.
Während das radikal andere sich also einmal an einem Tauschwert zu orientieren hat, der es als solches erst ermöglicht, wäre es das andere Mal Ausdruck eines Teilens das direkt und immer wieder aufzeigt, dass Menschen und Dinge nie nur nebeneinander sind, sondern immer auch etwas miteinander zu tun haben.
Das spekulative Andere
MA Trends, Departement Design, Zürcher Hochschule der Künste: Estela Gless, Sabrina Häfeli, Nina Hodel, Priscille Jotzu, Jenny Kantsjö, Tatiana Liljenfeldt, Angel Rose Schmocker, Niklaus Schneider, Nora Urscheler:
Wenn Gestaltung darauf aus ist, den Ist-Zustand beliebiger kleinerer oder größerer Verhältnisse der Gegenwart zu verändern, dann ist ihr grundsätzlich ein Bezug zu Zukunftsvorstellungen inhärent. Designer versuchen Irreales real zu machen – etwas, das nicht existiert, existent werden zu lassen. An diesem Punkt setzen die spekulativen Designobjekte an, die polyphone Zukünfte anfassbar und erfahrbar machen wollen. Diese gestalteten Objekte möchten sich nicht nur um das Realisieren kollektiver Vorstellungen einer besseren Zukunft kümmern, sondern die Visionen möglicher Zukünfte gestalten und erproben, die technologisch, medizinisch, oder gesellschaftlich zum jetzigen Zeitpunkt möglicherweise noch nicht realisierbar sind. Statt Visionen real werden zu lassen, lassen diese spekulativen Designobjekte Reales visionär werden und werfen Fragen zu möglichen gesellschaftlichen Veränderungen und zukünftigen Lebensformen und Lebensweisen auf.
Transformation Design – Zwischen leben und Tod
Prof. Bitten Stetter, Designerin und Trendforscherin:
Wir leben in einem Zeitalter des Multioptionalen und des Self-Designs, kämpfen mit steigender Komplexität, sehnen uns nach Sinnhaftigkeit und Einfachheit, nach einem langen Leben und einem schnellen sauberen Tod. Dabei suchen wir Wege wie wir Slow und Fast, Dunkelheit und Licht, Euphorie und Trauer, Genuss und Verzicht in unser Alltagsleben integrieren können, um nicht nur das Eine, sondern auch das Andere vollkommen auskosten zu können. Es entsteht eine neue Ära der Paradoxien und ein Zeitgeist, der Kontroverses verschränkt und Extreme kreuzt. Himmel und Höhlen, Alchemie und Wissenschaft, Algorithmen und Astrologie, krank und gesund, Sterblich- und Unsterblichkeit; einstige Gegenpole scheinen aktuell immer weniger Widersprüche in sich zu bergen und werden in einen ganzheitlichen Lebens- und Konsumstil zusammengeführt. Was entsteht, wenn sich Grenzen auflösen und Extreme zusammenfliessen? Im Spannungsfeld von «forever young» und demografischer Wandel, digitaler Transformation und dem Wunsch nach Echtheit, einer neu aufkommenden Spiritualität und dem Wegbleiben von Religion, soll der Übergang von Leben zu Tod an Hand von bestehenden und jüngst gestalteten Designobjekten analysiert und neue Handlungs- und Gestaltungsräume sichtbar gemacht werden. «Death is changing. Both the way we see it and the way we handle it are being challenged, whether by educational enterprises, […] or by environmental initiatives. […] Meanwhile, in Silicon Valley, technology entrepreneurs are attempting to resurrect digital souls, or even stop death altogether.» (Future Laboratory)
Selbst-Konzept als kulturelle Konstruktion
Dr. phil. Francis Müller:
In westlichen Gesellschaften wird Identität – im Anschluss an protestantische, romantische und psychoanalytische Selbstkonzepte – als etwas verstanden, was dem Individuum inhärent ist. Die Aufwertung des Innen führt wiederum zu einer Abwertung des Aussen, des Körperlichen, der Kleidung, der äusserlichen Erscheinung. Dieses Selbstkonzept, das uns universal erscheint, entlarvt sich im interkulturellen Vergleich allerdings schnell als kulturell konstruiert und kontingent.
Eine Gender Polyphonie
Larissa Holaschke und Studierende des MA Trends:
Wenn sich Formen einer neuen polyphonen Konsenskultur zeigen, dann sollte man einen Blick auf die Generation Y und Z und ihre Auseinandersetzung mit Geschlechteridentitäten werfen. Basierend auf Megatrends wie Individualisierung, Female Shift, Gesundheit, Nachhaltigkeit, Konnektivität und einem neuen Verständnis von Spiritualität treffen verschiedene kleinere und grössere Strömungen aufeinander, die eine Auseinandersetzung mit Geschlecht, Körper und Geist auf paradox polare Weise vorantreiben. Diese Aushandlungen werden durch neue Produktwelten und Bildästhetiken, die den Markt und Social Media überschwemmen, begleitet. Ausgehandelt wird der Gender Shift vor allem in Bereichen wie Körper, Schönheit, Mode, Sex und Popkultur. Eine Sammlung von Phänomenen soll Divergenzen, Differenzen und Disparität im Kontext Gender sichtbar machen.
Welt ohne Plural
Prof. Dr. phil. Gloria Meynen, Lehrstuhl für Medientheorie und Kulturgeschichte, und Felix Arhelger, MA Kultur- und Kommunikationswissenschaften, Zeppelin Universität:
Stellen Sie sich eine Welt im Singular vor: Alles gibt es nur einmal. Abgesehen vom Singular: Er tritt in Massen auf. Denn nicht eins, sondern alles soll insular und anders sein. Was bleibt vom radikal Anderen? – Felix Arhelger spricht über die Ökonomisierung des Anderen, die das Andere fordert und dabei nur das Gleiche fördert. Gloria Meynen diskutiert mit einem Gedankenexperiment das Paradox der Inselmenschen, die lediglich in Massen Eremit und anders werden können. Wie entkommt man einer Welt, in der der Singular längst Plural, die Inseln zum Festland geworden sind?